Raphaela Dell
Mit einer Kombination aus Psychologie, Organisationslehre und Methoden aus der Welt der Kultur und der Philosophie, befähigt sie Menschen ihr Potential voll zu nutzen.
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Die Illusion der Kontrolle
Mit 63 habe ich mich noch einmal auf die Reise gemacht – auf eine ganz persönliche Heldenreise: die Ausbildung zur Gestalttherapeutin. Wenn sie zu Ende ist, werde ich 69 sein. Manche fragen sich vielleicht: Warum jetzt noch? Warum eine so intensive Ausbildung in einem Alter, in dem andere ans Aufhören denken?
Die Antwort ist einfach: Weil es als Trainerin, Seminarleiterin oder Heldenreiseleiterin essenziell ist, sich immer wieder selbst zu nähren. Wer mit Menschen arbeitet, muss in Bewegung bleiben, Neues lernen, sich inspirieren lassen. Entwicklung hört nie auf – nicht für mich und nicht für die, die ich begleite. Und genau darum geht es in der Gestalttherapie: um das Lebendige, um die Kunst, sich immer wieder neu zu entdecken.
Die essentiellen Themen der Gestalttherapie – Hingabe, Loslassen, echte Begegnung – wurden an diesem Abend lebendig. Hier bekommt ihr einen kleinen Einblick in das, was uns bewegt, was uns herausfordert und was uns wachsen lässt. Schaut mir über die Schulter und lauscht mit, wie ein Abend in unserer Ausbildung klingt.
Die Kunst der Hingabe – Ein Abend in meiner Gestalttherapie-Ausbildung
Ich sitze in einem warmen, ruhigen Raum, umgeben von 21 anderen angehenden Gestalttherapeutinnen und -therapeuten. Unsere zweite Ausbildungswoche geht in die zweite Hälfte, und ich spüre, wie viel sich in diesen Tagen bereits bewegt hat – in mir, in den anderen, in der Gruppe als Ganzes.
Der Abend beginnt ruhig. Wir lassen den Tag ausklingen, schauen zurück auf das, was wir gelernt und erfahren haben. Die Atmosphäre ist offen, herzlich, getragen von der Sicherheit, die in diesen Begegnungen entsteht. Hier muss niemand eine Rolle spielen, niemand muss funktionieren. Hier dürfen wir einfach da sein – mit allem, was auftaucht.
Thorsten Zilcher, unser Lehrer, setzt sich zu uns und beginnt zu sprechen. Ich lehne mich zurück. Ich weiß, dass dieser Abend mich mitnehmen wird, dass er nachwirken wird. Ich weiß nur noch nicht, wohin.
Der Körper erinnert alles
„Die Befreiung von der Illusion der Kontrolle – das ist die eigentliche Herausforderung.“
Ich spüre, wie sich bei diesen Worten etwas in mir rührt. Kontrolle. Ein Thema, das mich mein Leben lang begleitet hat – in großen und kleinen Momenten.
Wir sprechen über den Körper als Speicher des Unbewussten. Über die Glaubenssätze, die wir nicht nur im Kopf tragen, sondern in unseren Muskeln, in unserer Haltung, in unserem Atem. Ich weiß längst, dass Erkenntnis nicht reicht. Dass wir Dinge auf einer kognitiven Ebene verstehen können, ohne dass sie sich wirklich verändern. Und doch überrascht es mich immer wieder, wie tief alte Muster in uns verankert sind.
„Erkennen allein reicht nicht,“ sagt Thorsten. „Dein Körper muss es auch spüren.“
Ich denke an all die Male, in denen ich mich gefragt habe, warum ich immer wieder in dieselben Muster tappe, obwohl ich längst weiß, woher sie kommen. Und ich verstehe: Mein Kopf hat es vielleicht längst durchschaut – aber mein Körper hält es noch fest.
Die Illusion der Kontrolle
Dann kommt der Moment, der den Raum stiller macht. Es geht um etwas Tieferes. Um das, was erst hinter der Erkenntnis kommt.
„Viele denken: Ich habe den großen emotionalen Durchbruch, ich weine, ich schrei – und dann ist alles anders. Aber das ist nur der Anfang.“
Ich atme ein. Lasse die Worte sinken.
„Solange du glaubst, du hast Kontrolle, bist du noch nicht durch. Erst wenn du loslässt – erst wenn du wirklich loslässt – kann sich etwas Grundlegendes verändern.“
Es trifft mich, weil ich es kenne. Das Festhalten. Die leise, unbewusste Angst, wirklich loszulassen. Und die Frage: Was bleibt, wenn ich es tue?
Ich spüre, wie mich das berührt. Wie tief ich das weiß. Und wie sehr es mich dennoch herausfordert.
Hingabe ist keine Technik – sondern eine Haltung
Eine von uns fragt: „Wie oft kommt man als Therapeut an diesen Punkt? An diesen Moment, in dem wirklich alles aufbricht?“
Thorsten überlegt. „Das ist schwer zu sagen. Mit Menschen von der Straße vielleicht selten, mit Menschen in der Ausbildung öfter. Aber es ist nicht die Häufigkeit, die zählt. Es ist die Qualität der Erfahrung.“
Ich nicke. Ich verstehe. Es gibt keine Methode, mit der man diesen Moment herbeiführen kann. Man kann sich nur darauf vorbereiten. Man kann lernen, als Therapeut bereit zu sein.
Bereit, Sicherheit zu geben, wenn jemand loslässt.
Den Raum zu halten, wenn jemand wirklich fällt.
Orientierung zu bieten, wenn jemand nicht mehr weiß, wohin es geht.
Ein Abend, der bleibt
Es ist spät, als wir langsam auseinandergehen. Manche bleiben noch sitzen, tauschen sich aus. Andere gehen nach draußen in die Nacht, noch in Gedanken versunken.
Ich spüre, wie dieser Abend bleibt.
Wie er nacharbeitet.
Wie er mich verändert.
Und ich weiß: Die eigentliche Reise hat gerade erst begonnen.

