Raphaela Dell
Mit einer Kombination aus Psychologie, Organisationslehre und Methoden aus der Welt der Kultur und der Philosophie, befähigt sie Menschen ihr Potential voll zu nutzen.
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#1 Talk am See – Spaziergang mit Magdalena Trischler
Es ist der 12. Februar, tiefster Winter, und es ist bitterkalt. Die Sonne steht klar am Himmel, aber sie wärmt nicht. Der See, um den wir gehen, ist zugefroren – bis auf die Öffnung zum Eisbaden am Steg, eine makellose Eisfläche, still und unbeweglich. Keine Enten, kein Wind, nur ein paar Raben krächzen irgendwo in der Ferne. Ich hingegen entscheide mich für eine andere Art der Erfrischung: ein Spaziergang in guter Gesellschaft.
Unsere Mittagspause in der Ausbildung ist schön lang, und ich dachte mir, ein Spaziergang in guter Gesellschaft wäre eine perfekte Gelegenheit, die Menschen, mit denen ich hier unterwegs bin, näher kennenzulernen. Sie sind alle auf ihre Weise faszinierend – mutige, kluge, herzliche Männer und Frauen, die sich auf die Reise zur Gestalttherapeutin oder zum Gestalttherapeuten gemacht haben. Und die erste Person, die ich zum Gespräch einlade, ist Magdalena Trischler.
Magdalena begleitet uns in den ersten beiden Modulen mit Sensory Bodywork, den Five Waves und Meditation – sie bringt uns in Bewegung und erinnert uns daran, dass Heilung nicht nur im Kopf, sondern im ganzen Körper geschieht. Thorsten Zilcher, unser Ausbilder, führt uns mit seiner humorvollen Klarheit und jahrzehntelangen Erfahrung durch die tiefen Prozesse der Gestalttherapie.
Während Magdalena uns hilft, über den Körper ins Spüren zu kommen, fordert Thorsten uns heraus, unsere Muster zu erkennen, uns selbst in echter Begegnung zu erfahren und in die Hingabe zu gehen.
Zusammen sind sie ein starkes Duo – das eine gibt Boden, das andere Flügel.
Wer Magdalena kennt, weiß, dass sie eine besondere Gabe hat:
Sie bringt uns in die Tiefe, aber immer mit Humor. Sie schafft es, dass wir lachen, während wir Dinge über uns entdecken, die oft gar nicht so leicht zu tragen sind. Ihre Arbeit ist ein Geschenk für uns alle, und dieses Gespräch ist mein kleines Denkmal für sie – ein herzliches Dankeschön für die Sorgfalt und Hingabe, mit der sie diese Ausbildung begleitet.
Wir laufen los, ziehen die Schultern hoch gegen die Kälte, atmen kleine Dampfwolken in die klare Luft.
"Wie bist du eigentlich zur Gestalttherapie gekommen?", frage ich, während unser Atem vor uns in der kalten Luft sichtbar wird.
„Eigentlich bin ich Ergotherapeutin“, erzählt sie. Ihre Stimme ist warm, ruhig, bedacht. „Ergotherapie bedeutet ‚tätig sein‘ – wir helfen Menschen, nach Krankheit, Unfall oder anderen Herausforderungen wieder ins Tun zu kommen. Es geht darum, Handlungsfähigkeit im Alltag zurückzugewinnen.“
Doch das war erst der Anfang. Ihr Weg führte sie weiter – in eine Richtung, die erst auf den zweiten Blick als roter Faden sichtbar wurde. „Über die Ergotherapie kam ich zum Figurentheater. Ich habe gespielt, habe Puppen sprechen lassen. Und irgendwann bin ich auf die Figurenspieltherapie gestoßen. Ich wusste damals nicht, dass meine Ausbilderin Gestalttherapeutin war – und doch habe ich all das schon in mir getragen.“
Figurenspieltherapie. Ich lasse mir erklären, was das genau ist.
Magdalena lächelt. „Es ist wie das Psychodrama, aber mit Figuren. Vor allem für Kinder ist das oft ein leichterer Zugang, weil sie nicht mit Sprache arbeiten müssen, sondern mit Bewegung, mit Ausdruck, mit Vorsprachlichem.“ Ich stelle mir ein Kind vor, das eine kleine Puppe hält – vielleicht einen Drachen, vielleicht ein verletztes Tier – und ihm alles anvertraut, was es sonst nicht sagen kann. Die Bilder berühren mich.
„Ich habe zehn Jahre als Figurenspieltherapeutin gearbeitet“, erzählt Magdalena weiter. „Und dann fing ich an, mit einer Kollegin Frauenseminare zu geben. Da habe ich gemerkt: Ich brauche mehr Handwerk für Gruppen, für Erwachsene. Ich wusste, wie ich mit einzelnen Menschen arbeiten kann, aber Gruppen sind eine andere Dynamik. Ich wollte lernen, wie man Räume für Prozesse schafft.“
Sie lacht leise. „Als ich dann die Gestaltausbildung angefangen habe, hatte ich diesen Aha-Moment. Ich dachte: Moment mal, das mache ich doch die ganze Zeit schon! Erst da wurde mir bewusst, dass die Haltung der Gestalttherapie mich schon lange begleitet hatte – ich hatte nur keinen Namen dafür.“
Ich nicke. Das kenne ich. Dieses Gefühl, dass sich ein Kreis schließt. Dass man etwas findet, was eigentlich schon immer da war.
Dann kommen wir zu einem anderen Thema, das Magdalena tief geprägt hat: die Trauerarbeit. Sie begleitet Menschen in Abschieden, in Schmerz, in der Suche nach Ausdruck für das Unaussprechliche.
„Einmal im Jahr veranstalten wir ein großes Trauerfeuer“, erzählt sie. „Es dauert fünf Tage. Wir entzünden ein Feuer, das drei Tage und zwei Nächte lang brennt, ohne Pause. Es ist ein Raum für all die Trauer, die keinen Platz hat – nicht nur um Verstorbene, sondern auch um all das, was nie war, um das, was uns gefehlt hat, um verpasste Möglichkeiten.“
Ich höre ihr zu, während wir langsam zurück Richtung Wasser gehen. Der Gedanke berührt mich. Ich kenne diese Art von Trauer. Nicht immer ist es der Verlust eines Menschen – manchmal ist es der Verlust einer Hoffnung, einer Kindheit, eines Traums.
„Menschen kommen dorthin, setzen sich ans Feuer. Und sobald sie sich setzen, kommt jemand und setzt sich hinter sie. Sie sind nicht allein. Sie werden gehalten“, sagt Magdalena. „Das ist der Unterschied zur klassischen Therapie. Wir haben Zeit. Es gibt keine Stunde, die irgendwann vorbei ist. Es gibt nur das Feuer, das Element, das größer ist als wir.“
Wir bleiben stehen. Ich spüre eine Stille zwischen uns, die nicht unangenehm ist.
„Was hat dich an der Gestalttherapie so überzeugt?“, frage ich schließlich.
Magdalena denkt einen Moment nach. Dann sagt sie: „Ich habe viele Therapieformen kennengelernt. Und oft hatte ich das Gefühl: Ich verstehe immer mehr, ich erkenne immer mehr – aber mein Verhalten, mein Erleben verändert sich nicht. Es bleibt Theorie. Die Gestalttherapie war das erste Mal, dass sich etwas in mir wirklich bewegt hat. Dass Transformation nicht nur ein Gedanke war, sondern etwas, das ich gespürt habe.“
Ich atme tief ein. Das, was ist, darf sein – und verändert sich dadurch. Eines der zentralen Prinzipien der Gestalt. Ich erinnere mich an all die Male, in denen ich selbst kämpfen wollte, mich ändern wollte, besser werden wollte – und es doch erst dann leicht wurde, als ich endlich losließ.
„Es klingt so einfach“, sage ich.
Magdalena lächelt. „Ist es aber nicht.“
Wir gehen weiter.
„Du hast einen Satz gesagt, der mich sehr berührt hat“, sage ich nach einer Weile. „Du hast gesagt: Du gehst nur in die tiefen Räume, wenn du weißt, dass dein Gegenüber diese Räume auch kennt. Dass es den Schmerz, den du fühlst, selbst schon einmal durchlebt hat. Und dass du deshalb ganz genau spürst, wem du dich anvertrauen kannst.“
Sie nickt.
„Ja. Ich glaube, das ist das Wichtigste. Dass da jemand ist, der weiß, wie es sich anfühlt. Der mitgehen kann, aber nicht untergeht. Und deshalb arbeite ich als Gestalttherapeutin. Weil ich diesen Raum für andere halten möchte.“
Ich blicke zum See. Das Eis liegt ruhig vor uns, als hätte es unser Gespräch aufgenommen und in sich bewahrt. Ein Raum, der hält.
„Magdalena, danke für dieses Gespräch.“
Sie lächelt. „Danke dir.“

