Raphaela Dell

Mit einer Kombination aus Psychologie, Organisationslehre und Methoden aus der Welt der Kultur und der Philosophie, befähigt sie Menschen ihr Potential voll zu nutzen.

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#3Talk am See - Spaziergang mit Oualid Chaboune

Es ist der zweite Mittagsspaziergang meiner Gestalttherapie-Ausbildung in Unteröd. Der Himmel ist grau, ein feiner Nieselregen liegt in der Luft, und doch ist es ein angenehmer Moment. Die Luft ist frisch, der See liegt still da, fast spiegelglatt – diesmal nicht gefroren, aber mit einem Hauch von winterlicher Kühle. Neben mir geht Oualid Chaboune, 36 Jahre alt, ein Mann mit ruhiger Präsenz und einer Geschichte, die mich neugierig macht.

„Woher kommst du eigentlich?“ frage ich ihn.

Oualid schmunzelt. „Aus Deutschland – aber meine Wurzeln sind in Marokko.“

Er erzählt mir von Larache, einem kleinen Küstenstädtchen südlich von Tanger, wo seine Großeltern und Eltern herkommen. Seine Familie kam in den 1970er-Jahren nach Deutschland, wie so viele in dieser Zeit. Sein Vater war noch ein junger Mann, als er die Wahl hatte, nach London oder Australien zu gehen – aber es wurde Deutschland. Ein Gastarbeiterleben, zunächst mit der Idee, ein paar Jahre zu bleiben und dann wieder nach Marokko zurückzukehren. Doch die Jahre vergingen, eine Familie wurde gegründet, Wurzeln wurden geschlagen.

„Und du?“ frage ich. „Bist du mit einem Bein in Marokko und mit einem Bein hier?“

Er überlegt kurz. „Nein, eigentlich nicht. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Meine Eltern haben uns sehr frei großgezogen, sehr individuell. Wir sollten unseren eigenen Kopf entwickeln, unsere eigenen Wege gehen.“

„Keine starren Vorgaben? Kein ‚Du wirst Arzt oder Ingenieur‘?“

„Nur eine einzige: Die Schule war nicht verhandelbar.“ Er lacht. „Bildung war das Allerwichtigste.“

Von der Wirtschaft zur Gestalttherapie: Ein unerwarteter Weg

Oualid erzählt von einem Weg, der erst sehr geradlinig schien: eine kaufmännische Ausbildung bei BMW, parallel ein Studium in Wirtschaftsrecht, das er schließlich abbrach, um sich ganz dem Vertrieb zu widmen. 16 Jahre lang arbeitete er in der Automobilbranche – bis er 2023 entschied, auszusteigen.

„Ich brauchte eine Pause. Die letzten dreieinhalb Jahre waren sehr zehrend. Ich habe gekündigt, bin ausgestiegen und nehme mir jetzt bewusst Zeit für Neues.“

„Und dann kam die Gestalttherapie?“

„Ja – aber der Weg dahin war nicht direkt.“

Oualid erzählt von seinen ersten Berührungen mit persönlicher Entwicklung. Eine Reise nach Thailand, Anfang 20, mit seinem älteren Bruder. Zum ersten Mal kam er dort mit Spiritualität in Berührung – nicht mit Religion, sondern mit der offenen, erfahrungsbasierten Form von Bewusstseinsarbeit.

Von dort war es kein direkter Weg zur Gestalt, sondern erst einmal zur Aufstellungsarbeit. Er machte eine zweijährige Ausbildung zum Aufstellungsleiter, tauchte tief in die systemischen Dynamiken von Familien und Organisationen ein.

„Ich habe dadurch einen ganz neuen Blick auf Menschen bekommen. Vorher habe ich Menschen und ihre Reaktionen oft einfach bewertet.

Nach der Aufstellungsarbeit konnte ich sehen: Da steckt eine Geschichte dahinter. Da steckt Schmerz hinter Wut. Unsicherheit hinter Arroganz. Trauer hinter Rückzug. Und wenn du das einmal wirklich begriffen hast, dann kannst du nicht mehr auf die gleiche Weise mit Menschen umgehen."

„Und warum dann Gestalt?“

„Weil ich gespürt habe, dass es da noch mehr gibt. Ich wollte tiefer gehen, direkter arbeiten. Die Heldenreise war mein Einstieg. Und da wusste ich: Das ist der Weg, den ich gehen will.“

Der Wunsch nach Tiefe – und eine große Demut

Wir bleiben stehen, blicken über den ruhigen See. Ich frage ihn, was ihn in den ersten beiden Modulen am meisten berührt hat.

Er denkt nach. „Es ist die Demut, die diese Arbeit in mir auslöst. Zu sehen, was möglich ist. Menschen in ihren Prozessen zu begleiten, sie genau da abzuholen, wo sie gerade sind – das bewegt mich tief.“

Besonders drei Momente aus dem ersten Modul sind ihm im Gedächtnis geblieben: zwei intensive Einzelsessions, die unser Ausbilder Torsten Zilcher leitete – und eine Arbeit, die wir zu dritt gemacht haben, Oualid, eine unserer Mitreisenden und ich.

„Was mich so fasziniert, ist Torstens Präsenz. Er weiß immer genau, was zu tun ist. Und ich frage mich: Werde ich das in sechs Jahren auch können? Werde ich dann in meiner eigenen Praxis stehen und wissen, was zu tun ist?“

Ich nicke. „Ich glaube, das ist die Frage, die wir uns alle stellen. Wir sehen ihn da vorne, mit seiner Erfahrung, seiner Präzision, seiner Ruhe – und wir hoffen, dass wir irgendwann dieses Handwerkszeug haben, diese intuitive Sicherheit.“

Oualid lächelt. „Ja, das wünsche ich mir. Dass ich irgendwann nicht mehr nachdenken muss, sondern einfach weiß. Dass ich mich in den Moment hineinfallen lassen kann und das Richtige tue.“

Oualid

Ein Wunsch für die gemeinsame Reise

Wir sind fast zurück am Seminarhaus. Es nieselt immer noch, aber das Gespräch hat uns aufgewärmt. Ich frage Oualid, was er sich für die nächsten Jahre unserer gemeinsamen Reise wünscht.

Er überlegt nicht lange. „Fruchtbaren Boden. Dass wir uns gegenseitig inspirieren, uns befruchten, uns weiterbringen. Dass wir gemeinsam wachsen.“

Ich nicke. Das klingt genau nach dem, was ich mir auch wünsche.

„Gibt es ein marokkanisches Sprichwort, das du uns mit auf die Reise geben würdest?“

Er lächelt, denkt kurz nach. Dann sagt er:

„Lache mit der Welt – und die Welt lacht mit dir.“

Dann spricht er es noch einmal auf Arabisch aus, eine Sprache voller Melodie. Ich kann es nicht nachsprechen, aber ich spüre den Klang, den Rhythmus, die Wärme darin.

Ja, denke ich. Wenn wir diese Reise mit Freude machen, mit offenem Herzen und einem Lächeln – dann wird sie gut.

 

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